Aus dem Reisetagebuch Teil 3 – Anfang November 2019
Die Bootstour nach Pyramiden startete um 8:30Uhr mit der Abholung im Hotel – das kleine, aber gut beheizte Schiff mit gemütlichem Salon und kleiner Bar lief gegen 9Uhr aus dem Hafen von Longyearbyen aus. Zu dieser Zeit war das Licht noch sehr schummrig und die weißen Berge die die Bucht umgeben waren nur schemenhaft zu erkennen.
An Deck war es bitterkalt, aber dennoch wollte ich keine Sekunde die atemberaubende Landschaft und das unendliche Weiß sowie die Blautöne des Himmels und das diffuse Licht verpassen. Man kann sich gar nicht satt sehen! Dazu gab es immer wieder Erklärungen und Anekdoten – sowie des Schwedenhauses. Das ist eine Hütte in der dereinst 17 Seemänner überwinterten, da ihr Schiff im Eis festsaß und das Essen nicht für alle reichte und sie quasi freiwillig gemeldet wurden für die Überwinterung. Am Ende des Winters wurden zwei Gräber vor dem Haus gefunden und eine Notiz an der Tür des Hauses, dass man sich fernhalten soll. Die Bewohner waren allesamt tot, ihre Körper aber unversehrt und auch nicht abgemagert – und das aus unerfindlichen Gründen! Wie mysteriös muss das im 19. Jahrhundert für die Menschen gewirkt haben und wie unheimlich! Vor allem an einem so gottverlassenen Ort an dem die Phantasie ohnehin keine Grenzen kennt. Das Rätsel wurde erst vor einigen Jahren nach der Exhumierung der Leichen gelöst – sie starben allesamt langsam an einer Bleivergiftung. Die Konservendosen die als Winterproviant in der Hütte waren, waren mit Blei verlötet und das hat sie langsam und qualvoll getötet.
Zu solchen Geschichten gab es Whiskey on the rocks mit Eisbergeis/Eisscholleneis serviert.
An der Küste konnte man Rentiere und irgendwann zeichnete sich der imposante Nordenskiöldbreen-Gletscher in strahlendem Blau am Horizont ab. Und immer wieder sieht man am Ufer kleine Hütten, die von Jägern genutzt wurden und werden – ein so menschenleerer Ort und doch finden sich immer wieder Spuren menschlichen Tuns.
Pyramiden ist eine verlassene, russische Kohlebergwerksstadt die zu Sowjetzeiten eine absolute Vorzeigestadt war. Für die Minenarbeiter war es eine Ehre für zwei, drei Jahre dorthin abkommandiert zu werden. Sie durften ihre Familien mitnehmen, es gab eine hervorragende Schule, ein großes Freizeitprogramm, eigene Wohnungen, gratis Essen und zurück am Festland winkten ihnen ebenfalls eigene Wohnungen und eventuell sogar ein Auto für ihre Verdienste jenseits des Polarkreises. Auch architektonisch wurde sich besonders Mühe gegeben und sogar Gras aus Sibirien importiert. Und es gibt wohl keine Lenin-Statue mit besserer Aussicht – der Pyramiden-Lenin hat freien Blick auf den Gletscher. Die Gebäude sind noch überraschend gut in Schuss und wurden sogar erst kürzlich neu gestrichen! Die Industriegebäude sind aber dem Verfall preisgegeben.
Bei der Rückfahrt war es relativ schnell stockdunkel und ich hab es mir daher im Salon gemütlich gemacht.
Am nächsten Tag ging es von Nybyen (dem Ortsteil von Longyearbyen in dem auch unser Hotel ist) auf den Larsbreen-Gletscher um eine Eishöhle zu besuchen. Über das Geröllfeld und die Ausläufer des Gletschers ging es auf den eigentlichen Gletscher. Das Schmelzwasser schafft die tollsten Eishöhlen, in die man hineingehen kann und in denen sogar Übernachtungen angeboten werden. Im Winter sind sie trocken und das Wasser hat die tollsten Eisgebilde geschaffen. Eisstalagtiten hängen von der Decke, Schneekristalle bedecken die Wände und die Decke und im klaren Eis sieht man jede einzelne Gletscherschicht als dünne Linie mit den eingeschlossenen Sedimenten und Geröll. Teilweise musste man sich auf allen Vieren fortbewegen durch die Gletscherhöhle, teilweise war es ein großer offener Raum. Der Gletscher selbst ist eine endlos weiße Eiswüste, die durch die Polarnacht bläulich leuchtet und von eben sah man auch die Lichter von Longyearbyen unten im Tal.
Der Abschluss unseres Aufenthalts auf Spitzbergen war eine 2-stündige Bustour durch Longyearbyen, die uns bis zur noch aktiven Mine und den danebengelegenen Radarschüsseln für die Nordlichtbeobachtung führte, zur Kirche und dem alten Friedhof, zum Hafen und zum Eingang des Saatgutspeichers im Permafrost. Dabei sind wir wohl das gesamte Straßennetz der Insel abgefahren…und dann hieß es auch schon Abschied nehmen von all dem Weiß und der Polarnacht.